Ein längeres Zitat aus dem lesenswerten Buch „New Work needs Inner Work“ von Joana Breidenbach und Bettina Rollow (Ausgabe 2019, S. 73 ff.):
„Erst in der Distanz zum eigenen inneren Erleben können wir die Ebenen dahinter sehen und verstehen, was uns motiviert und welche Treiber hinter unserem Verhalten, unseren Gefühlen und Gedanken liegen. Je klarer wir unsere innere Landschaft sehen, desto besser ist unser Selbstkontakt.
Nun haben verschiedene Menschen nicht nur sehr unterschiedliche Zugänge zu sich selbst. Sie variieren auch darin, wozu sie Kontakt haben. Denn wir können zwischen mindestens drei Aspekten unterscheiden: der kognitiven, der emotionalen und der physischen Ebene. Manchen Menschen fällt es leicht, ihr Verhalten und die eigenen Gedankengänge von außen zu beobachten und mit anderen darüber zu sprechen. Für andere ist dies viel schwerer. Das eigene Innenleben erscheint ihnen oft wirr und ungreifbar.
Das Gleiche gilt für die Identifizierung von körperlichen Empfindungen. Merkt ein Mensch, wo er verspannt oder entspannt ist? Ob er Schmetterlinge im Bauch hat oder einen Kloß im Hals? Dass er sich bei jedem Gespräch innerlich hochzieht und seinen Kontakt zur Basis und zu seinem Körper verliert?
Für viele Menschen, uns Autorinnen eingeschlossen, ist die Gefühlsebene am wenigsten zugänglich. Fragen wir Menschen, wie sie sich fühlen, bekommen wir oft Antworten wie „gut“, „gelangweilt“, „genervt“. Doch das sind keine Gefühle, sondern Befindlichkeiten. Die sogenannten Primäremotionen sind Freude, Neugier, Angst, Trauer, Scham, Ekel, Ohnmacht oder Wut. Diese klar zu benennen ist erstaunlich schwer.
Wieso fällt es vielen Menschen so schwer, ihre Emotionen zu kontaktieren? Die Gründe dafür liegen meist in der Kindheit. Wir lernen unsere Gefühle dadurch besser kennen, dass unsere Eltern sie uns spiegeln. Dies setzt voraus, dass Eltern Emotionen selbst adäquat wahrnehmen können. Doch in vielen Familiensystemen werden gerade unangenehme Gefühle wie Wut, Trauer oder Scham vermieden und damit auch nicht den Kindern zurückgespiegelt. Tauchen sie dann in den Kindern auf, können diese sie nur schwer einordnen. Zudem erleben Kinder, die nicht ausreichend von ihrer Umgebung unterstützt werden, sehr starke Emotionen als überwältigend. Sie schützen sich dann selbst, indem sie sich anspannen und starr werden – mit der Folge, dass diese verspannten Areale später nicht mehr dynamisch auf die Umwelt reagieren können. Oft fühlen Menschen sich an diesen Punkten dann diffus und taub.
Die Unterdrückung von Gefühlen wird in der Arbeitswelt fortgesetzt. In den meisten Unternehmen gelten Emotionen als unprofessionell und unerwünscht. Folglich blenden wir sie aus, auch wenn sie in vielen Arbeitssituationen relevanter sind als kognitiv-fachliche Fakten. Da wir keine Sprache und Kultur haben, um Gefühle adäquat einzubeziehen, doktern wir an der Sachebene herum. Diese Verwechslung der Ebenen ist jedoch zum Scheitern verurteilt. Denn die wenigsten Themen lassen sich erfolgreich auf der Sachebene vorantreiben, wenn Menschen emotional aufgewühlt und abgelenkt sind. Wenn wir nur einen Bruchteil der relevanten Information in Lösungen einbeziehen, das heißt in diesem Fall uns rein auf die kognitive Ebene konzentrieren, reduzieren wir unser Lösungs- und Innovationspotential.“
Die weitere Lektüre dieses Buches sowie in diesem Buch ebenfalls wieder querverlinkte Bücher (eine Auswahl findet sich hier) lohnt sich meiner Ansicht nach nicht nur für Unternehmer*innen, darunter Eltern und eigenorganisiert Geschäftige ohne Arbeitsvertrag z.B. im Haus, der häuslichen Pflege usw., sondern auch für Arbeiter, Angestellte und Beamte.